Besonderheiten bei der Gestaltung von freien Mitarbeiter-Verträge - Abgrenzung zur sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung
Die Abgrenzung zwischen freiem Mitarbeiter und Arbeitnehmer bereitet in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten, da Arbeitsgerichte und Sozialversicherungsbehörden eine Gesamtwürdigung anhand einer Vielzahl von Kriterien vornehmen, die im Einzelfall schwer rechtsicher vorhersehbar ist.
Ein freies Dienstverhältnis unterscheidet sich dabei von einem Arbeitsverhältnis durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Eine persönliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn statt der freien Tätigkeitsbestimmung die Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation vorliegt, die sich im Weisungsrecht des Arbeitgebers zeigt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen, also dem Vertragsinhalt und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend.
Risiken
Bei freien Mitarbeiterverhältnissen ist daher vor allem die Ausgestaltung der Beschäftigung wesentlich. Ist ein vermeintlich freier Mitarbeiter nämlich als Angestellter des Vereins zu qualifizieren, so hat dies zur Folge, dass der Verein für die Abführung der Lohnsteuer und insbesondere der jeweiligen Sozialabgaben verantwortlich ist. Dabei kann es im schlimmsten Falle zu einer persönlichen Haftung und ggf. strafrechtlichen Verfolgung des Vereinsvorstand kommen (vgl. § 266a StGB sowie BGH, Beschluss vom 12.06.2012, Az. II ZR 105/10). Der Anspruch auf Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verjährt in vier Jahren nach dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem er fällig geworden ist (§ 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren hingegen erst in 30 Jahren (§ 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Hier reicht bereits der so genannte bedingte Vorsatz aus. Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Verantwortliche – in der Regel der gesetzliche Vorstand – den Erfolg zwar nicht unbedingt will, sich damit aber ohne weiteres abfindet und den Erfolg als (ggfs. sogar unerwünschte) Nebenwirkung seines Handelns in Kauf nimmt.
Um derartige Folgen zu vermeiden ist bei der Gestaltung von Verträgen mit freien Mitarbeitern sowie bei der tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit entsprechende Vorsicht angezeigt.
Kriterien
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfordert – wie bereits ausgeführt - eine Beschäftigung im Sinne des Gesetzes, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb, also dem Verein, ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nicht allein nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag sondern nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr., vgl. etwa BSG, 30.10.2013, Az. B 12 KR 17/11 R).
Maßgebliche Kriterien für eine selbständige Tätigkeit eines freien Mitarbeiters sind eine Beschäftigung von nur wenigen Stunden pro Woche, die Vermeidung von Pauschalvergütungen, eine eigenverantwortliche und vom Vorstand und Verein weisungsunabhängige Leitung sowie der Verzicht auf Urlaubs- oder Krankengeldzahlungen. Neuerdings soll auch die Höhe der Vergütung ein Abgrenzungskriterium darstellen: Liegt die Vergütung des freien Mitarbeiters deutlich über dem Gehalt eines angestellten Mitarbeiters mit vergleichbarem Aufgabengebiet, spricht dies für eine selbständige Tätigkeit. Demgegenüber sind eindeutige Anzeichen für eine unselbständige und damit abhängige Beschäftigung das Vorhandensein von festen Bezügen und Arbeitszeiten, die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Umfang der Tätigkeit sowie die Einbindung in den „Betrieb“ des Vereins.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich zum einen die wesentlichen Voraussetzungen in schriftlichen Verträgen festzuhalten und zum anderen die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit klar zu bestimmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Beschäftigungsverhältnis als nicht selbständige Tätigkeit eingestuft wird und erhebliche Nachzahlungen von nicht abgeführten Sozialabgaben von dem Verein erbracht werden müssen.
Besonderheiten
Entscheidend bei Unterrichtstätigkeiten ist bei der Abgrenzung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und freier Mitarbeit, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann. Wer an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet, ist in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn er seine Tätigkeit nebenberuflich ausübt. Dagegen können etwa Volkshochschuldozenten und Musikschullehrer, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, oder Lehrkräfte, die nur Zusatzunterricht erteilen, als freie Mitarbeiter beschäftigt werden (stRspr, vgl. BAG, Urteil vom 17.10.2017, Az. 9 AZR 792/16; NZA 2017, 1463 sowie zuletzt BAG, Urteil vom 21.11.2017, Az. 9 AZR 117/17).
Anders als im Falle der allgemeinbildenden Schulen besteht für Musikschulen – oder Musikvereine - kein Schulzwang, es gibt im Regelfall keine förmlichen Abschlüsse, der Unterricht ist zumeist weniger reglementiert, das Ausmaß der Kontrolle durch den Unterrichtsträger und der Umfang der erforderlichen Nebenarbeiten geringer. Als Arbeitnehmer sind Musikschullehrer deshalb nur dann anzusehen, wenn die Vertragsparteien dies vereinbart haben oder im Einzelfall festzustellende Umstände hinzutreten, die auf den für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderlichen Grad persönlicher Abhängigkeit schließen lassen. Als solche Umstände kommen das Recht des Schulträgers, die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden einseitig zu bestimmen, den Unterrichtsgegenstand oder Art und Ausmaß der Nebenarbeiten einseitig festzulegen, eine intensivere Kontrolle nicht nur des jeweiligen Leistungsstands der Schülerinnen und Schüler, sondern auch des Unterrichts selbst oder die Inanspruchnahme sonstiger Weisungsrechte in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 17.10.2017, Az. 9 AZR 792/16).
Dabei kommt es immer wieder zu Problemen, wie bspw. der Zuteilung fester Proben- bzw. Unterrichtstage. Dieser Umstand soll jedoch einer Weisungsunabhängigkeit und damit freien Tätigkeit nicht entgegenstehen (vgl. BAG NZA 2010, 877 sowie BAG, Urteil vom 17.10.2017, Az. 9 AZR 792/16):
Der Arbeitszeitsouveränität des Musiklehrers steht nicht entgegen, dass Schule dem Musiklehrer lediglich an drei festen Tagen in der Woche einen Unterrichtsraum zur Verfügung stellte. Zwar kann in der Anordnung, eine Tätigkeit nur in bestimmten Räumlichkeiten zu verrichten, und einer nur zeitlich beschränkten Zurverfügungstellung dieser Räumlichkeiten eine zeitliche Weisungsgebundenheit liegen. Das ist aber nicht anzunehmen, wenn die Zeitspanne so bemessen ist, dass dem Mitarbeiter ein erheblicher Spielraum verbleibt. Dem Musiklehrer stand an drei Tagen in der Woche der Unterrichtsraum in der Zeit von 09:00 Uhr bis 22:00 Uhr zur Verfügung. Die Unterrichtsstunden konnte der Musiklehrer in freier Abstimmung mit seinen Schülerinnen und Schülern bzw. deren Erziehungsberechtigten innerhalb der Zeitspanne verteilen. Einer dem freien Dienstverhältnis entgegenstehenden zeitlichen Beschränkung unterlag der Musiklehrer auch nicht dadurch, dass eine Vielzahl seiner Schülerinnen und Schüler noch schulpflichtig war und der Unterricht deshalb hauptsächlich in den Nachmittagsstunden stattfinden musste. Derartigen, auf Kundenwünschen beruhenden zeitlichen Beschränkungen unterliegen auch selbstständige Musikschullehrer, denen ihre Schülerinnen und Schüler nicht durch eine Musikschule zugeleitet werden. Der Musiklehrer war insoweit anders als eine Lehrkraft an einer allgemeinbildenden Schule nicht fest in einen Schulbetrieb eingegliedert und an die starren Vorgaben eines Stundenplans gebunden, sondern in der Gestaltung seiner Arbeitszeit weitestgehend frei von Weisungen der Musikschule. Soweit der Musiklehrer angemerkt hat, er habe sich hinsichtlich der Raumnutzung mit anderen Lehrkräften abstimmen müssen, fehlt es an einlassungsfähigem Sachvortrag, was im Einzelnen Gegenstand der Abstimmungen gewesen ist und inwieweit seine zeitlichen Dispositionsmöglichkeiten dadurch beeinträchtigt worden sind.
Insoweit soll auch folgende Klausel in einem Musiklehrervertrag zulässig sein (allerdings wohl nur, weil andere Indizien für eine weisungsunabhängige Tätigkeit überwiegen, vgl. SG Stuttgart, Urteil vom 26.07.2017, Az. S 21 R 6876/14):
Der Dirigent verpflichtet sich, wöchentlich eine Orchesterprobe durchzuführen und zu leiten. Probentag ist Donnerstag von 20.00 bis 22.00 Uhr.
Bei einem Dirigenten ist jedenfalls von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen, wenn er die Einstudierung nur eines bestimmten Stückes oder Konzertes übernimmt und/oder nach dem jeweiligen Gastspielvertrag voraussehbar nicht mehr als fünf Vorstellungen oder Konzerte dirigiert. Spielzeitverpflichtete Künstler sind - auch wenn sie anderweitig gastspielverpflichtet sind - in der Regel eingegliedert und daher abhängig beschäftigt (BSG, Urt. v. 20.03.2013, B 12 R 13/10 R)
In diesem Fall war der Dirigent zeitlich unbefristet (im Ergebnis über einen Zeitraum von 25 Jahren), also sogar über eine „Spielzeit“ hinaus, zur Einstudierung und Leitung von pro Jahr mindestens 16 bis 18 Vorführungen verpflichtet. Nach den Kriterien des Abgrenzungskatalogs ist er demnach eindeutig als abhängig beschäftigt anzusehen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 05.03.2018, Az. L 8 R 41/17 B ER).
Ein ebenfalls als Abgrenzungskriterium notwendiges Unternehmerrisiko des freiberuflich tätigen Musiklehrers bzw. Dirigenten liegt vor, wenn eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, Urteil v. 28.05.2008, Az. B 12 KR 13/07). Hiergegen spricht insbesondere eine pauschalierte und erfolgsunabhängige Vergütung (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 6.5.2015, Az. L 8 R 655/14; weitere Kriterien: Kein Einsatz eigenen Kapitals in nennenswertem Umfang bei Nutzung vorhandener Räumlichkeiten bzw. Verpflichtung, Unterricht in diesen Räumlichkeiten abzuhalten und demnach keine Gefahr, dass z. B. Zahlungen für angemietete Räumlichkeiten frustriert aufgewendet werden. Keine eigene Verpflichtung, Anschaffungen, für Unterrichtsmaterial, Instrumente etc. selbst vornehmen zu müssen. Für den Unterricht benötigte Materialien werden vielmehr vom Verein zur Verfügung gestellt).